Das Schwinden von Wörtern

17. Februar 2025
Zeichnung von Haohua Marti

Wie es angefangen hat

Eine wortlose Welt ist für uns Menschen unvorstellbar. In der Sprachwissenschaft vergleichen die Experten verschiedenen Sprachen miteinander; im Unterricht haben wir die indoeuropäischen Sprachen angeschaut. Zu den indoeuropäischen Sprachen gehören die Grossfamilien Germanisch, Lateinisch, Slawisch und noch einige kleineren Gruppierungen. Um die Sprache vereinfacht zu analysieren, haben die Experten eine theoretische Ursprache konstruiert, das Proto-Indoeuropäisch. Rund um das Proto-Indoeuropäisch haben sie verschiedene Theorien aufgestellt: Welche Kultur die «Indoeuropäer» lebten und wie die Sprache sich ausbreitete und veränderte.

Die Experten haben die indoeuropäischen Sprachen miteinander verglichen und nach ähnlichen Wörtern gesucht. Dabei haben Sie eine Schnittmenge gefunden, die für eine Hirtenkultur spricht. Die Kunst des Ackerbaus verbreitete sich mit den Migrationsschüben der «Indoeuropäer» in Mitteleuropa und in Richtung Zentralasien.

Allerdings sind in den verschiedenen Sprachen voneinander unabhängige Wortgruppen erkennbar. Dies hat verschiedene Ursachen: Zum einen, wenn eine indoeuropäische Gruppe auf eine nicht-indoeuropäische Gruppe trifft und langsam mit diesem Volk verschmilzt, dementsprechend Wörter der anderen Kultur übernimmt.

Genau diesen Prozess durchgingen die Vorfahren der Germanen. Die sogenannte indoeuropäische Schnurkeramikerkultur überlagerte sich über einer Zeitspanne mehreren Jahrhunderten mit einer dort-ansässigen Megalithgräberkultur, die in anderen Bereiche tätig waren, beispielsweise in der Schifffahrt. Bei der Analyse der etymologischer Herkunft des Wortes Kiel zeigt sich, dass die Wortreihe mit dem althochdeutschem kiol/ kīl endet.

Zweitens werden neue Wörter in den Wortschatz aus bestimmten Gründen integriert. Dafür gibt es mehrere Gründe, um Beispiele zu nennen:

Wenn eine Kultur etwas Fremdes entdeckt (wie Eisen) oder etwas Neues erfindet (wie die Schule), so ist es natürlich, diese Sachen zu benennen. Oder um sich von den niedrigeren Gesellschaftsschichten abzugrenzen, erweitern die Personen ihren Wortschatz mit Wörtern einer adelig-angesehenen Sprache - früher war Französisch eine solche adelige Sprache.

Wörter aus anderen Sprachen werden unterschiedlich in den Wortschatz integriert. Neben Fremdwörter oder Lehnwörter, also übernommenen oder eingedeutschten Begriffen, sind die Lehnschöpfungen und die Lehnbedeutungen interessant für die Entwicklung neuer Wörter. Bei den Lehnschöpfungen werden neue Wörter gebildet, um einen wichtigen Ausdruck einer Fremdsprache in die eigene Sprache zu überführen. Bei der Lehnschöpfung hallt die Identität der eigenen Sprache, anders als würde man das Wort als Fremd- oder Lehnwort überführen.

Lehnbedeutungen hingegen folgen einem anderen Prinzip: Ein bestehendes Wort bekommt eine neue Bedeutung, während die alte verloren geht. Beispielsweise wissen wir, dass Sünde (althochdeutsch Suneta) eine Lehnbedeutung ist und bis heute ist die ursprüngliche Definition unbekannt.


Wie Wörter verschwinden

Wir können nicht vermeiden, dass Wörter aus unseren Gedanken verschwinden. Es ist ein natürlicher Prozess; so natürlich wie die Entstehung neuer Wörtern. Unsere Welt verändert sich ständig und so auch unser Wortschatz.

Zuerst möchte ich die Lehnbedeutung nochmal aufgreifen. Bei solchen Fällen spreche ich auch vom Wörterschwund. Zwar bleibt das Wort als Reihenfolge von bestimmten Buchstaben da, aber das Wort als ein bestimmter Verweis, als einen bestimmten Bedeutungsträger verschwindet. Lehnbedeutungen helfen uns zusätzlich zu wissen, was das Wort vorher bedeutet hat und wieso diese verschwinden. Als Beispiel kennen wir den Wochentag Freitag (althochdeutsch frīatag). Mit der Verbreitung des Christentums schenkten immer mehr 'Germanen' ihren Glauben dem christlichen Gott, infolge verloren die germanischen Götter ihre Wichtigkeit und Relevanz. Nur wenigen schriftlichen Überlieferungen verdanken wir die Kenntnis über diesen Göttern.

Wenn ich die Wörter des Berndeutschen reflektiere, stosse ich auf einige Begriffe, für die es ein Pendant im Hochdeutschen gibt. Das führe ich darauf zurück, dass für die Entwicklung einer einheitlichen deutschen Sprache viele Wörter aussortiert wurden. Angenommen Sie würden eine Sprache erfinden und dazu einen Wortschatz fertigstellen - wie sinnvoll wäre es, wenn mehrere Wörter dasselbe beschreiben?

Beispielsweise wird im Berndeutschem der Begriff Glungge/Glunggä über dem Begriff Pfütze bevorzugt, und beide beschreiben dasselbe. Ich vermute, dass Berner weiterhin das Wort Glungge/Glunggä verwenden und dieses nicht verschwinden wird, aus einem einfachen Grund: Der Begriff Pfütze ist kein Teil des aktiven Wortschatzes, in anderen Worten gesagt, herrscht keine Verdoppelung und folglich muss der 'Berner' Begriff nicht aussortiert werden.

Zudem kann man die Notwendigkeit des Vergessens nicht verleumden. Einerseits kommen immer wieder neue Wörter dazu und somit vergrössert sich ein Wortschatz bis ins Unendliche. Zwar ist das Gehirn überaus leistungsfähig, besonders bei ständiger Anwendung, aber ab einer Schwelle besitzt eine Sprache zu viele Wörter, sodass Wörter im Laufe der Zeit verschwinden, wie Steine einmal zu Staub werden.

Jedoch soll es zur keine Überflutung kommen, denn unsere Welt ändert sich ständig und manche Wörter werden für die neue Welt unbrauchbar. Mit dieser Theorie als Grundlage prognostiziere ich das Verschwinden des Wortes Hiobsbotschaft/Hiobsnachricht. Das begründe ich mit der Abschaffung christlicher Traditionen. Hiob ist eine Figur des Alten Testaments und die Bibel wird mit Aufkommen neuer Generationen vermindert gelesen. Daraus folgere ich, immer weniger Menschen kennen die Figur Hiob und demzufolge klammert das Wort an seiner Bedeutung fest und nicht seinem Ursprung. In der Zukunft wird über die Legitimität des Wortes diskutiert, da der Ursprung eine gewisse Unbekanntheit bergt und irrelevant sein wird.


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