Mit E.T.A. Hoffmann und seinem «Der Sandmann» haben wir (die M26a und Herr Beutler) die deutsche Epoche Romantik angeschaut. «Der Sandmann» ist eine Geschichte über einen dichterischen Studenten mit dem Namen Nathanael, der dafür bestimmt ist, die Welt zu romantisieren (wobei «romantisieren» in diesem Kontext eine andere Bedeutung trägt: Gewöhnliches magisch zu machen). Hoffmann beschäftigte sich in dieser Geschichte zum einem mit dem menschlichen Dualismus und zum anderen mit den irrationalen, natürlichen, inneren Trieben.
Als Gegenbewegung der Aufklärung haben die Romantiker sich geäussert. Die Aufklärung hat die Vernunft an die höchste Stelle gesetzt und eine Folge ist die Missachtung psychischer Krankheiten gewesen. Personen, die eine Straftat aufgrund unkontrollierbarer Triebe begangen haben, sind ohne Rücksicht verurteilt geworden. Die Romantiker sind damit nicht einverstanden gewesen und haben begründet, dass in allen Menschen unvernünftige Triebe herrschen.
Diese Aufklärung-Romantik Dynamik wird in der Geschichte über Nathanael wahrheitsgetreu dargestellt: Nathanael, der von seinen Trieben geleitet wird, und Clara, die alles vernünftig erklärt. Clara hat mehrmals versucht, ihren geliebten Nathanael zu helfen, ihm beizustehen und mithilfe der Logik sein Trauma als unsinnig einzustufen.
Nathanaels Denkweise hat den rationalen Verstand von Clara übernommen. Doch unerwartet ergreift eine unfassbare Sehnsucht die Oberhand und Nathanaels Sicht wird vom Anblick Olimpias vernebelt. Olimpia, eine Puppe, hat Nathanaels Herz komplett erobert. Ohne einen Verdacht geschöpft zu haben, entdeckt Nathanael, dass sie nur eine leblose Puppe ist. Der Wahnsinn hat Nathanael ergriffen und stürzt ihn in sein Verderben. Hoffmann stellte als klassischer Romantiker die Triebe dar, welche die Vernunft überwältigen können.
Der Dualismus fasst die Gedanken der Romantiker zusammen: Der Mensch besteht aus zwei Seiten, Tag und Nacht, hell und dunkel, rational und irrational. Hoffmann machte sich zu beiden Seiten Gedanken. Die Geschichte ist nicht eine rein romantische Geschichte bzw. Hoffmann legt uns zwei Perspektiven vor, wie der Leser die Geschichte verstehen kann. Das Buch beginnt mit drei Briefen: Im ersten spiegelt Nathanael seine Erlebnisse und Gedanken wider, und zwar aus seiner irrationalen, romantischen Sicht, den ich Nathanael-Erzähler ernenne. Folgend kommt der Brief von Clara, die mit ihrer Vernunft und Rationalität Nathanaels Perzeption versucht zu erklären und diese als irrational wahrnimmt: Clara-Erzähler. Nach diesen Briefen setzt die Geschichte in gewohnter Art weiter, und zwar mit einem Null-Erzähler.
Hoffmann romantisierte, aber arbeitete ebenfalls wissenschaftlich. Er untersuchte in Wahnsinn gefallenen Menschen und veröffentlichte die gewonnenen Erkenntnisse in romantischen Geschichten. Doch vom Untersucher zum Untersuchtem: E.T.A. Hoffmann verlor selbst manchmal den Halt in der Realität. Er erlebte die Besessenheit des Wahns.
Hoffmann spricht in diesem Text den Leser direkt an und schreibt über das Schreiben selbst, er könne als Dichter diese Geschichte doch nur, wie in einen matt geschliffenen Spiegel dunklem Widerschein, auffassen. Der Wortstamm «Spiegel» kommt nicht nur einmal vor. Der Dichter hat ein eigenes Spiegelbild in dieser Geschichte eingebettet, das den Namen Nathanael trägt. Wie sehr die Geschichte zu Hoffmanns eigene Erlebnisse passt oder welche Ähnlichkeiten er und Nathanael haben, lässt sich schwer sagen. Ich behaupte, Hoffmann hat «Der Sandmann» geschrieben, um seinen Verstand nicht zu verlieren. Aus verschiedenen Quellen wissen wir, dass Hoffmann selbst mit Problemen des Fernhaltens des Realen und Irrealen kämpfte. Als ein Künstler, der malt, dichtete, musiziert und besonders die Welt romantisiert - also nichts anderes tat, als die Realität mit Fantastischem zu schmücken - hat die Grenze zwischen der Vernunft und dem Irrationalen gelockert. Ich verstehe seine Tätigkeit nicht als einen Grund, warum er dem Wahnsinn begegnete, sondern durch Konfrontationen mit Unannehmlichkeiten. Dass Hoffmann solche hatte, ist nachvollziehbar, denn die Liebe seines Lebens wurde mit einem anderen Mann verheiratet.
Hierzu fällt mir ein, nach den Briefen übernimmt der Null-Erzähler. Aber bevor er mit der eigentlichen Geschichte weiterfährt, sei in jenem Augenblick Claras Bild so lebendig vor seinen Augen, da ist er gezwungen, sie so ausführlich zu beschreiben.
Bei diesem Abschnitt kann ich einige Fragen stellen, erzählt der Null-Erzähler oder der Nathanael-Erzähler? Oder wie kann Hoffmann über einer fiktiven Figur eine solche Beschreibung machen? Nicht unwahrscheinlich dachte Hoffmann an jemand anderes.
Zuletzt stellt sich die Frage, ob das Schreiben und Dichten hilft, innere Spannungen abzubauen. Diese Behauptung könnte ich folgend argumentieren, indem ich das Schreiben und Dichten mit etwas vergleiche, wie wenn man Bedrängendes an jemanden erzählt. Denn da sollen alle die Erfahrung gemacht haben, es nimmt Gewicht vom Herzen. Aber Hoffmann hat es selbst in seiner Geschichte offenbart. «Clara war sehr heiter, weil Nathanael sie seit drei Tagen, in denen er an jener Dichtung schrieb, nicht mit seinen Träumen und Ahnungen geplagt hatte.» (Der Sandmann, Seite 31) Nathanael dichtete über das Unheil, das sich über ihn und Clara bildet und ihre Liebe in die Verderbnis stürzt. Hoffmann nahm diese Wirkung des Schreibens zur Kenntnis, besonders da er auch den Wahnsinn - meiner Meinung nach, mit wissenschaftlichen Methoden - untersuchte.