Mathematik und das Beweisen

20. Mai 2025

Die vollständige Induktion

Am Anfang des Schuljahres 2024/2025 haben wir (die M26a) im Fach AM das Beweisverfahren der vollständigen Induktion angeschaut. Neben den vielen anderen mathematischen Beweisen für allgemeine Formeln beschränkt sich die vollständige Induktion auf den Beweis einer Aussage über natürlichen Zahlen. In anderen Worten beweist die vollständige Induktion nichts anderes, als dass für jede natürliche Zahl (meistens bei Eins beginnend) die entsprechende Aussage zutrifft. Das Beispiel zur Einführung ins Thema sind fallende Dominoketten gewesen: Jede natürliche Zahl und deren Nachfolger entsprechen derselben Aussage. Das ist der Hintergrundgedanke des Beweisverfahrens. Anstatt jede Zahl einzeln zu rechnen, was mit der heutigen Technologie möglich ist, haben Mathematiker dieses Beweisverfahren erfunden.

Folgend erkläre ich dieses Beweisverfahren. Es beruht darauf, dass die Aussage für das erste Glied stimmt und mit einer allgemeinen Formel bewiesen wird, dass die Aussage für jede folgende Zahl auch stimmt.
Zum Vorgehen: Die vollständige Induktion besteht aus vier Schritten (siehe Bild). Zuerst wird die Aussage A(n) dargestellt (Induktionsannahme). Danach wird gezeigt, wie die Aussage für n + 1 aussehen sollte (Induktionsbehauptung). Die weiteren zwei Schritte dienen dem Beweis. In der Induktionsverankerung wird bewiesen, dass die Aussage für das erste Glied (1 oder etwas anderes) stimmt. Als Letztes kommt der Induktionsschritt. Im Induktionsschritt wird algebraisch gezeigt, dass A(n + 1) äquivalent zur Induktionsbehauptung ist, und dabei wird auf die Induktionsannahme (mit einem Blitzchen gekennzeichnet) zurückgegriffen. Schlussendlich wird noch ein hübsches 'q. e. d.' (quod erat demonstrandum, was zu beweisen war) geschrieben, um den Beweis abzuschliessen.

Bild von Haohua

Beweise, Beweise, Beweise…

Wir alle haben sicher schon zugeschaut, wie der Mathematiklehrer einen Satz beweist. Dafür verwendet er irgendwelche algebraischen Tricks und zack, da steht der Beweis und der Satz ist gültig. Doch bleibt das für immer so? Wie angedeutet, können wir mithilfe von Computern viel schneller und mehr rechnen. Wir überlassen die Drecksarbeit den Computern. Beispielsweise bei der vollständigen Induktion kann ich ganz einfach ein Pythonprogramm schreiben und der Computer rechnet jede Zahl durch, ob die Aussage stimmt oder nicht. Natürlich kann er nicht jede Zahl durchrechnen, da es unendlich viele gibt, aber ab einer bestimmten Anzahl von Zahlen ist auch mal gut. Somit stellt sich die Frage, sind solche Methoden akzeptabel?

Die Mathematik ist von Grund auf eine andere Wissenschaft als - sagen wir mal - Physik. Der Hauptunterschied liegt bei der Observation. Bei der Physik kann man ganz einfach empirisch vorangehen: Man sammelt Daten, wertet diese aus und stellt eine Formel auf. Zum Beispiel hat der Astronom Johann Kepler herausgefunden, dass die Planeten in elliptischen Bahnen um die Sonne kreisen, hat sogar eine passende Formel aufgestellt, aber er hat sie nie bewiesen bzw. herleiten gekonnt. Die Formel basierte zu seiner Entdeckung auf reine Datensätze, die jahrelang gesammelt wurden.
In der Mathematik sind Datensätze als Belege auch möglich, doch eben nicht akzeptabel. Das Zentrale an der Mathematik ist, dass sie nur bedingt beobachtbar ist. Ein anderer Punkt ist die Unendlichkeit. Bei der Physik reichen 10 Tests, um zu wissen, dass Äpfel mit einer Beschleunigung von 9.81 m/s^2 gegen den Boden aufprallen. In der Mathematik reichen die Zahlen bis ins Unendliche, vielleicht ist die Aussage trotzdem einmal ungültig. Demzufolge erkenne ich, dass mathematische Sätze eine andere Beweisart verlangen.

Das Zeitalter der Computern ist bereits im Anflug: Tausende Rechnungen können innerhalb Sekunden ausgeführt werden. Mit diesem neuen Werkzeug lässt sich fragen, ob Beweise von Computern akzeptabel sind. Für mich ist es klar, die Antwort lautet nein. Beweisen ist eines der wesentlichsten Merkmale der Mathematik. Es geht darum, eine Reihe von Gedanken darzustellen und schlussendlich ein Resultat zu erhalten, dass nicht nur stimmt, sondern auch nachvollziehbar ist: "Warum ist das so?". Natürlich möchte jeder Mathematiker komplexe Problemen lösen, aber weniger geht es um die Lösung, sondern mehr um den Weg.
Auf die vollständige Induktion zurückgreifend - was übrigens eines meiner Lieblingsthemen in der Mathematik ist - ist es mir egal gewesen, dass ich die Korrektheit der Aussage weiss. Was mir Freude bereitet hat, ist, einen eigenen Weg herauszufinden, um die Aussage zu beweisen und dieses 'q. e. d.' zu schreiben. Als Fazit schliesse ich, dass Mathematiker auf die Hilfe der Computern verzichten sollen und selbstständig einen eigenen Beweis finden sollen.


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